13. bis 15. April 2019
Tag 110: Samstag, 13. April 2019
Von der gut besuchten Ausgrabung bei Göbeklitepe (hier findet Ihr den vorherigen Bericht) fuhren wir am Nachmittag weiter ins Zentrum von Şanlıurfa. Die Stadt wird nur nach ihrem alten Namen Urfa genannt und hat knapp 2 Millionen Einwohner. Sie ist die fünftheiligste Stätte des Islam. Abraham sollte laut einer Legende hier verbrannt werden, wurde aber durch ein Wunder gerettet, indem sich das Feuer in Wasser und die Glut in Fische verwandelte – dies symbolisiert heute das künstliche Fischbecken Balıklıgöl.
Rund um die Stätte mit dem Fischbecken herrschte Verkehrschaos und Polizisten versuchten den Stau aufzulösen. Fast jeder der Polizisten nahm sich trotzdem die Zeit, uns Ausländer zu begrüßen.
Nach etwas Suche fanden wir einen Parkplatz am modernen Museumsgebäude und liefen zu Fuß zum Fischteich.
Wir waren natürlich nicht die einzigen, um uns herum wimmelte es von Einheimischen und türkischen Touristen.
Überall wurden fleißig Fotos und Selfies in allen erdenklichen Posen geknipst – egal ob voll verschleiert oder hippe Teeniegirls im bauchfreien Top – da sind doch alle gleich, wie schön! Auch ein wunderschönes Brautpaar posierte für Hochzeitsfotos mitten in den Menschenmassen.
In der Altstadt aßen wir in einem kleinen Restaurant leckere Grillspieße. Bedient wurden wir von einem bezauberndem kleinen Jungen, der seinen Job absolut professionell meisterte.
Wir wunderten uns nur, warum hier so viele Kinder arbeiten. Egal wo man hinsah, arbeiteten die Kleinen fleißig und ganz selbstverständlich mit. Sei es auf dem Basar, in den Restaurants, beim Schuhverkäufer. Wir hoffen mal, dass sie das nicht jetzt schon Vollzeit machten, sondern noch die Schulbank drücken und hoffentlich auch noch ihre Kindheit genießen dürfen.
Zum Nachtisch gab es Kadayif – ein Art Künefe mit weniger Käse.
Der Rückweg führte uns durch ein Wohngebiet mit Markt und vorbei an Höhlen, die man überall in den Felswänden von Urfa findet. Und Nein, dieser Blick ist keine 3D Visualisierung des Museumsarchitekten, hier sieht es wirklich so surreal aus. Wahnsinn, oder?
Am Museum fragten wir ein paar Mitarbeiter der Stadt Urfa, ob wir denn auf dem Parkplatz übernachten dürften. Sie berieten sich kurz und klar durften wir bleiben. Der Parkwächter aus der darunter gelegenen Tiefgarage wurde verständigt und er wies uns auf einen Parkplatz auf dem offenen Deck, wo er per Überwachungskamera auf uns aufpassen würde (unsicher fühlten wir uns nicht).
In der benachbarten Mall kauften wir dann noch ein paar Hosen ein und ließen den bislang wärmsten Tag unserer Tour aufklingen: wir hatten bei schon sehr hochstehender Sonne tagsüber ca. 27°C gehabt. Zu Live-Musik am Museum und Feuerwerk in der Ferne gingen wir müde ins Bett.
Tag 111: Sonntag, 14. April 2019
Die Nacht war reichlich unruhig: erst war es noch ordentlich laut vom erwähnten Open Air-Konzert direkt vor dem Museum, dann kamen nachts immer wieder Gruppen von Halbstarken, die die Musikanlage ihrer Autos aufdrehten, Feuerwerk zündeten und auf dem Parkplatz Slides übten. Der Höhepunkt war ein höllenlautes Rennen von getunten Autos und Motorrädern auf der Straße rund um Museum und Altstadt, das “The Fast and The Furious” wahrlich in den Schatten stellte. Und dann schlug bei Selena noch ein Sonnenstich zu und sie entledigte sich ihres Mageninhalts. Irgendwann konnten wir dann aber doch schlafen.
Leicht gerädert weckte uns am nächsten Morgen schon die nächste Veranstaltung auf dem Museumsvorplatz: ein Marathon! Es gab wieder laute Live-Musik und noch lautere Ansagen. Guten Morgen, Urfa!
Vor der Abfahrt wollten wir noch auf den Burgberg oberhalb des Fischteichs und spazierten unter vielen türkischen Sonntagsausflüglern los. Die Burg war zwar geschlossen, aber der Blick von oben war beeindruckend, auch dank des sommerlichen Wetters.
Übrigens:
Über 350.000 syrische Flüchtlinge leben derzeit in der Stadt Urfa, also so viele Flüchtlinge wie Deutschland in den vergangenen zwei Jahren (2017 und 2018) insgesamt aufgenommen hat. Und da hat der besorgte Bürger in Deutschland Angst vor Überfremdung?
Vor der Weiterfahrt hatten wir nochmal Lust auf den Foodcourt der großen Shopping-Mall. Also holten wir uns bei der “Kayseri Mutfak” leckere Eintopfgerichte. Danach ließen wir uns Kaffee und Kuchen auf der Außenterrasse schmecken. Das Essen in den Malls ist vielleicht nicht ganz so authentisch wie auf der Straße, aber es ist ganz und gar nicht zu vergleichen mit den gängigen Fast-Food-Ketten in Deutschland. Hier isst man wirklich gut und hat eine schöne Auswahl.
Von Urfa fuhren wir auf der gut ausgebauten Straße zunächst in Richtung syrische Grenze. Wir hatten in Grenznähe mit zahllosen Militär- und Polizeikontrollen gerechnet, aber es gab tatsächlich keine Kontrollen, so wie in anderen Regionen der Türkei. Ca. 15 km vor dem Grenzübergang bogen wir ab nach Harran, wo innerhalb einer antiken Stadtmauer noch viele bienenkorbförmige Häuser stehen, die sogar noch bewohnt sind. Wir fuhren ins Dorf und ständig versuchte jemand, uns anzuhalten oder verfolgte uns sogar auf dem Motorrad, um uns irgendwohin zu lotsen – wie nervig! Das hatten wir bisher noch nicht in der Türkei erlebt, nicht mal in Pamukkale oder Ephesos. Wir fuhren einfach unbeirrt eine Runde durch das Dorf und fanden eine Straße, die in die Stadtmauern hinein führte.
Die Ausgrabungen dort hatten für uns wenig Charme, obwohl es Funde von der Bronzezeit bis ins Mittelalter gibt. Ein paar der Bienenkorb-Häuser versuchten, sich zu vermarkten mitsamt Kamelreiten und Kostümverleih für gestellte Fotos in Tracht. Dort waren sogar ganze Busladungen von Tourigruppen unterwegs und in den einzelnen Häusern trat man sich gegenseitig auf die Füße.
Wir wollten noch etwas in Ruhe umher spazieren, da kamen direkt ein paar Jungs mit ihren Fahrrädern hinter uns her und versuchten uns in die nächste Attraktion zu schleifen. Wir waren genervt, setzten uns in den Bus und fuhren schnell wieder weg von hier.
Auf dem Bild hier mag das ganz cool aussehen, wir könnten Euch auch erzählen, dass es mega cool war, aber: Nein, das war es einfach nicht!
Es ging durch die fruchtbare nordsyrische Ebene und unsere Tanknadel wanderte immer weiter gegen Null. Wir fanden eine Tankstelle, aber der Diesel war ausverkauft. Geduldig erklärten mir die Jungs mit Hilfe von Google Maps, wo wir am ehesten Diesel bekommen würden.
Die nächste Tankstelle wäre im Dorf Damlasu erfuhren wir. So wurde uns die Entscheidung abgenommen, ob wir wieder etwa 50 km in Richtung Norden fahren sollten auf die Schnellstraße, wir mussten wegen der Tankstelle nämlich weiter der Landstraße entlang der Grenze zu Syrien folgen.
In Damlasu fanden wir die Tankstelle, die aber eigentlich geschlossen war. Ein paar Kids dort schalteten aber die Anlage wieder ein und wir bekamen Diesel. Wir waren wohl die Attraktion für das Dorf und immer mehr Jungs kamen und versuchten sich mit uns zu unterhalten. Die Einladung zum Tee konnten wir natürlich nicht ausschlagen und wurden ins Büro gebeten, wo ich auf dem Chefsessel hinterm Schreibtisch Platz nehmen sollte. Dann wurden auch noch ein paar Erwachsene geholt, wahrscheinlich sogar der Bürgermeister und mit Google Übersetzer betrieben wir eine amüsante Kommunikation.
Wir schafften es noch, die Einladung zum Abendessen abzulehnen und machten mit allen ein Bild vor dem Bus. Wieviele Bilder von uns und dem Bus ständig geknipst wurden, ist unklar.
Wir wurden lachend, winkend und laut rufend verabschiedet und saßen erstmal baff im Bus. Ist das wirklich gerade passiert?
Die Straßen wurden wieder etwas besser und wir kamen gut in Richtung Mardin voran – auch hier ohne jegliche Kontrolle. Unterwegs winkte uns jeder zu, der an der Straße stand, oder schaute uns ungläubig hinterher. Europäische Touristen mit eigenem Fahrzeug sind hier wohl rar.
Auch diese lustige Truppe von kleinen Jungs war ein Erlebnis. Die zwei größten der fünf ritten auf einem Pony, das keine Trense und keinen Sattel hatte. Und die anderen drei noch kleineren Jungs (wie alt waren die?) hielten die Schafe in Zaum, auf einer Schnellstraße. Wahnsinn!
Waren die jetzt wirklich auf dem Nachhauseweg und brachten die Schafe vom Feld zurück in den Stall? Kein fauler Sonntag vor dem Fernseher, mit Freunden im Garten spielen oder zocken. Nein, den ganzen Tag auf sich alleine gestellt beim Schafe hüten – puh! Und wie sie sich über uns freuten – wir waren sprachlos!
In Mardin kamen wir bei Dunkelheit an und parkten auf dem kostenpflichtigen Parkplatz mitten in der Altstadt. Der Parkwächter gab sein OK, dass wir hier mit dem Wohnmobil übernachteten. Wir suchten uns ein Restaurant und versuchten endlich mal wieder ein paar Stunden mehr als in den Nächten davor zu schlafen.
Tag 112: Montag, 15. April 2019
Die Nacht auf dem Parkplatz mitten in Mardin war halbwegs ruhig. Aber schon als wir aufstanden, begann sich der Parkplatz wieder zu füllen. Der Parkplatzwächter kam vorbei und warf einen anerkennenden Blick in WHATABUS: “Oh, your hotel, good!”.
Den Morgen nutzten wir erst mal, um ein bisschen zu arbeiten. Das dauerte dann doch wieder länger als gedacht und so zogen wir erst nach Mittag los, um auf der anderen Seite der Straße ein Café zu besuchen – und zwar für ein richtiges türkisches Frühstück: Während sich Selena ihr Lieblingsessen Menemen und Käsetoast bestellte, blieb ich bei der klassischen Kahvalti-Variante mit gekochtem Ei, Käse, Wurst, Gurke, Tomate, Marmelade und Honig.
Wir ließen uns viel Zeit, tranken noch ein paar Tassen Tee und Mokka, bevor wir uns auf den Weg machten, Mardin zu erkunden, zunächst die gut einen Kilometer entfernte ehemalige Koranschule Kasımiye Medresesi. Auf dem Hinweg kamen wir vorbei an der Wache der Jandarma durch ein ärmlich wirkendes Viertel zum historischen Gebäude.
Dort erwarteten uns viele türkische junge Damen, mit und ohne Kopftuch, die sich mal wieder gegenseitig für ihre Instagram-Profile mit gestellten Posen ablichteten. Die Medresesi war echt interessant, auch wenn die Renovierungsarbeiten noch liefen. Wir begegneten sogar dem Guide wieder, der vor uns beim morgentlichen Abstieg vom Mount Nemrut gestürzt war – er hatte immer noch einen Asiaten, um den er sich exklusiv kümmerte.
Auf dem Rückweg hielt uns kurz vor der Jandarma-Wache in älterer Mann auf und machte uns mit Zeichen klar, dass wir besser nicht direkt vor deren Kaserne entlang laufen sollten – ok, wir glaubten ihm besser mal. Auf dem Hinweg war nämlich schon ein Alarm-Pfiff hinter uns ertönt, wie wir jetzt im Nachhinein interpretierten.
Zurück in der Stadt bogen wir in die historischen Gassen ab und bestaunten die engen Straßen und alten Kirchen (ja, Mardin hatte früher sogar noch viel mehr Kirchen als heute). Leider versteckte sich die Sonne meist hinter Wolken.
Außerdem konnten wir den leckeren Düften der vielen Leckereien aus den Läden nicht widerstehen und kauften ein paar frische Kekse.
Den Rest des Nachmittags legten wir noch mal eine Arbeitsschicht an den Notebooks ein. Dann suchten wir einen Frisör für Selena, sie wollte sich unbedingt mal wieder die Haare waschen lassen und war zu bequem, das im Bus zu machen. Wir fanden einen “Salon” für Frauen. Dieser befand sich in zwei Zimmern eines Hauses, das gerade eine komplette Baustelle war. Außerdem waren ungewohnterweise dort neben einer Frau nur Männer am Arbeiten. Selena genoss den Rundumservice und freute sich über ihr wieder frisches Haar.
Auf dem Rückweg kauften wir zum Abendessen noch Fladenbrot und Cig Köfte ein – früher bestanden die Bällchen aus rohem Hackfleisch, aus hygienischen Gründen wurde die Rezeptur in eine gut gewürzte vegetarische (nein, sogar vegane!) Variante aus Couscous geändert. Im Bus genossen wir das leckere Essen und arbeiteten dann noch mal bis spät in die Nacht.
Achja, wir hatten beschlossen, noch eine Nacht in Mardin zu bleiben, bevor es am nächsten Morgen recht früh weiter gehen sollte.
Hallo ihr zwei,
danke für den tollen und ausführlichen Bericht Eurer Tour durch die Türkei. Außer Istanbul, den Prinzeninseln und Bursa habe ich dort noch nichts gesehen. Dass das Land einiges zu bieten hat, war mir klar – aber sooo viel Antikes in gepflegtem Erhaltungszustand, auch Abseits der Haupttouristenpfade hatte ich nicht erwartet.
Finde es auch super, dass ihr nicht nur lobt, sondern auch von lästigen Begebenheiten, wie in Harran berichtet. Dadurch ist auch der Bericht insgesamt glaubwürdig. Ist wohl überall sehr ähnlich, wenn (zu) viele Touristen in einer Gegend auftauchen.
Kenne ich von Tunesien bei den Höhlenwohnungen von Matmata, bzw. Chenini, dort wurde ein Teil von “Krieg der Sterne” gedreht.
Andernorts wie, Karthago, oder El Djem (ähnliches Amphitheater wie Kolosseum), hat man seine Ruhe.
Wünsche Euch noch viel Vergnügen in der Türkei und auf der weiteren Reise.
Liebe Grüße Hermann
Hallo Hermann,
schön, dass wir Dich mit auf die Reise nehmen dürfen.
Die besten Sachen gibt es unserer Meinung sogar tatsächlich abseits der ausgetretenen Pfade. Wenn wenig Trubel ist, kann man die Orte oft viel besser erleben.
Nachdem wir uns dann die Fotos von Harran angeschaut haben, hat es uns auf den Bildern besser gefallen als tatsächlich vor Ort erlebt.
Liebe Grüße vom Vansee,
Marc und Selena