7. und 8. April 2018, sowie Update vom 24. Juni 2018
Samstag, 7. April 2018
Nachdem wir am Freitag von Zelezna Ruda im Böhmerwald wieder nach Deutschland gefahren sind und eine ruhige Nacht auf dem Parkplatz des Freilichtmuseums Massing verbracht haben, sind es nur noch gut 20 Kilometer bis zu unserem Lieblings-Ben aka 1Konfetti-Bem in Mühldorf am Inn.
Auf dem Weg kaufen wir Brezn und Weißwürste – ein Wochenende darf ruhig mit einem zünftigen Weißwurstfrühstück anfangen.
Nachdem wir lange am Tisch gesessen sind, brechen wir am frühen Nachmittag auf in Richtung Mühldorfer Innenstadt. Ich hab bei einem Blick auf die Geocaches in Reichweite schon einen entdeckt: “Gegen das Vergessen” am KZ-Friedhof. Dank Geocaching bekommen wir also mal wieder einen Einblick in die Geschichte:
Bei Ende des Zweiten Weltkriegs wurden von den amerikanischen Truppen zahlreiche Massengräber mit Leichen von über 2.000 KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern rund um Mühldorf entdeckt. In den umliegenden Gemeinden wurde angeordnet, dass diese Leichen ordentlich bestattet werden sollten. Knapp 500 hauptsächlich jüdische Opfer wurden auf dem KZ-Friedhof in Mühldorf beigesetzt. Die amerikanischen Besatzer ordneten an, dass die Einwohner der Beerdigung in offenen Särgen beiwohnen und dabei auch den Blick auf diese richten mussten. “Es ist die moralische Pflicht der Bevölkerung, durch ihre Teilnahme ihr Mitgefühl für die unschuldigen Opfer eines verbrecherischen Regimes und ihrer menschenverachtenden Methoden zu bekennen.”
Der Ort an sich ist schon bedrückend, eigenartig finden wir die Vorstellung, dass die Einheimischen gezwungen wurden, die Leichen anzuschauen.
Ben meint, dass in den Wäldern rund um Mühldorf noch Fliegerbunker aus dem Dritten Reich seien. Die können wir uns dann am Sonntag anschauen.
Weiter geht’s ins Zentrum vorbei an historischen Gebäuden mit einem Stopp in einem italienischen Kaffee auf den Stadtplatz.
Die Läden liegen dort in wunderschönen Arkaden und auf dem Platz heißt es “sehen und gesehen werden”, v.a. in der Eisdiele.
Der Frühling ist im vollen Gange, die Sonne scheint, die Gassen sind voll mit Menschen und die Stimmung ist einfach wunderbar. Nach einigen Kilometern laufen wir dann am Ufer der Innschleife zurück zu Bens Wohnung.
Wir übernehmen Bens Küche (gut, ich übernehme, Ben und Selena kümmern sich um die Kaltgetränke) und zum Abendessen gibt es selbstgebackene Pizza – einen so gut geeigneten Ofen dafür haben wir nun mal nicht an Bord von WHATABUS.
Der Abend wird feuchtfröhlich und spät…
Sonntag, 8. April 2018
Nach dem Ausschlafen stärken wir uns schon wieder mit einem Weißwurstfrühstück, fahren gut gestärkt mit unserem Bus zum großen Waldstück Mühldorfer Hart und parken dort am Betonwerk. Im Wald sind die gestern schon erwähnten Fliegerbunker.
Dank der versteckten Geocaches lernen wir an diesem Tag sehr viel über die dunkle Vergangenheit dieser Gegend.
Im Forst “Mühldorfer Hart” wurde ab 1944 eine teilweise unterirdische, gebunkerte Fertigungsstätte zur Produktion des Strahlenflugzeugs “ME 262” gebaut. Das Projekt wurde unter dem Decknamen “Weingut I” als kriegsentscheidend eingestuft und deswegen gnadenlos vorangetrieben: Über 10.000 KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter mussten eine 400 m lange, über 80 m breite Halle, die noch dazu mehrere Stockwerke in den Untergrund reichen sollte, zur Produktion des Kampfflugzeugs bauen. Die Gewölbebögen sollten mit 5 m dickem Beton als Schutz vor Bombangriffen gebaut werden.
Im Wald wurden mehrere Lager eingerichtet. Aufgrund der schlimmen Arbeitsbedingungen, Mangelernährung und Krankheiten kam es zu sehr vielen Todesfällen unter den Häftlingen.
Die Produktionsstätte wurde nie fertiggestellt. Nach Kriegsende wurde der begonnene Bau von den Alliierten gesprengt.
Zuerst kommen wir zu einem Zwangsarbeiterlager, das direkt an der Großbaustelle lag. Hier erkennen wir neben einem gebunkerten Gebäude noch eine riesige betonierte Fläche, auf der wahrscheinlich die Wohnbaracken standen.
Dann geht’s weiter zum “Weingut I”, wo uns gleich der einzige noch halbwegs stehende Gewölbebogen erwartet und beeindruckt.
Von den geplanten 400 m Hallenlänge waren bei Kriegsende wahrscheinlich ca. 200 m gebaut. Zumindest können wir so weit noch auf dem eingestürzten Hallendach laufen, erkennbar an herausragenden Armierungseisen.
Wir beschließen, dass wir auch noch weitere Orte im Wald aufsuchen wollen. Nach mehreren Kilometern Fußmarsch über ebene und breite Forstwege kommen wir zum “Waldlager I”. Eine würdigere Gedenkstätte wird gerade noch gebaut. Die Struktur des Lagers ist noch gut erkennbar. Die Häftlinge hausten hier in Erdbaracken mit jeweils ca. 30 Personen.
Anschließend kommen wir zum Fundort eines riesigen Massengrabs, auch hier wird gerade eine neue Gedenkstätte gebaut.
Wir wollen der Geschichte noch weiter auf den Grund gehen und finden zwei weitere wenig bekannte Waldlager entlang der Bundesstraße.
Nach über 18 km Wanderung kommen wir zurück zum Bus und sind beeindruckt und schockiert, was in diesem Wald vor über 70 Jahren passiert ist. Das faszinierende am Wald ist aber auch, dass er sich durch nichts beeindrucken lässt und alles Schreckliche bewusst überwuchert. Als ob er die schlimmen Taten mit seinen dicken Moosteppichen und jungen Bäumen ganz friedlich abdecken möchte – die Natur ist doch ein Wunder, oder?
Jetzt verstehen wir auch, dass die Alliierten den Deutschen vorgeworfen haben, weggeschaut zu haben – und sie deswegen bei der Beerdigung der Leichen aus den Massengräbern auf dem KZ-Friedhof Mühldorf zwangen, die offenen Särge anzusehen.
Wir sind uns alle drei einig, dass wir heute viel über die Geschichte gelernt haben, und auch in Zukunft noch mehr solche historischen Exkursionen machen wollen und uns nicht nur zum Feiern und für Konzerte treffen wollen. Wir hatten trotz der harten Geschichte in diesem Wald eine schöne gemeinsame Zeit!
Update
Sonntag, 24. Juni 2018
Nach dem 4. Geburtstag von seiner Niere macht Ben uns den Vorschlag, noch mal in den “Mühldorfer Hart” zu fahren. Die bei unserem ersten Besuch noch im Bau befindlichen Gedenkstätten sind mittlerweile fertiggestellt worden.
Vom Betonwerk an der Bundesstraße laufen wir die paar Kilometer zur Gedenkstätte am Waldlager. Wir finden die Installation an diesem Ort sehr gelungen.
Am “Eingang” in das Waldlager befinden sich innerhalb eines Blocks aus Betonmauern sehr gute Erläuterungen der Geschichte.
Von diesem Eingang folgt man einem Weg auf großen Betonplatten. Dort gibt es keine großen Erläuterungen mehr, sondern nur noch mahnende Zitate von ehemaligen Häftlingen.
Um den Appell der Häftlinge darzustellen, wurden an Bäume am ehemaligen Appellplatz weiße Streifen gemalt – so etwas mahnt, wird dazu auch noch erläutert, dass die Häftlinge – egal ob tot oder lebendig – hier erscheinen mussten.
Falls Ihr Zeit und in die Gegend von Mühldorf kommt, schaut Euch diese Gedenkstätten unbedingt an.